Der Nan-Loop

Der Reisegefährte und ich stehen vor der riesigen Karte, die eine komplette Wand in unserer Küche bedeckt, und überlegen, was uns als nächstes Reiseziel in Thailand noch locken könnte. Mittlerweile gibt es tatsächlich nur wenige Provinzen, wo wir noch nicht unterwegs waren. Und so trifft es sich, dass wir die Gegend um Nan, ganz im Nordosten Thailands ins Visier nehmen. Diese Ecke des Landes ist vom Tourismus noch relativ unberührt, und hat den Ruf ziemlich verschlafen zu sein, das klingt ganz nach unserem Geschmack.
Der Plan ist schnell gefasst, wir werden nach Chiang Mai im Norden fliegen, uns da ein Motorrad leihen, und einen Roadtrip machen, der uns über Lampang, Phrae, Nan, und Payao zurückbringt nach Chiang Mai.
Gesagt, getan, ein paar Wochen später wird aus der Idee Realität.
- Etappe: Chiang Mai - Lampang
Auf unserer todschicken, mit Flammen auf dem Tank dekorierten, Honda Phantom, führt uns die erste Etappe von Chiang Mai aus südöstlich, über eine sehr gut ausgebaute Straße, geradewegs in die thailändische Provinz. Unsere zuverlässige Maschine rollt gemächlich vorbei an endlosem Grün, nur unterbrochen von kleinen Dörfern, wo uns Straßenfoodstände mit dem Duft von scharfer Hühnersuppe zum Anhalten locken wollen. Ganz entspannt erreichen wir bei wunderschönem, tropischen Nachmittagslicht, die Kleinstadt Lampang, die sooo klein dann doch gar nicht ist. Zumindest der Verkehr ist amtlich, vermutlich weil alle verfügbaren Fahrzeuge gerade auf dem Weg sind, um die Kinder von der Schule abzuholen, wie überall am späten Nachmittag in ganz Thailand.
Der Abend ist, wie immer in Thailand, dem guten Essen gewidmet, und so steuern wir ein kleines Restaurant am Flussufer an, dessen Speisekarte halb so dick ist, wie ein Telefonbuch. In Deutschland verheißt das nichts Gutes, aber nicht so, in diesem kulinarischen Wunderland. Eine Stunde später biegt sich der Tisch unter Köstlichkeiten, eine Liveband spielt erstaunlich gute Jazzstandards, und wir genießen den Sonnenuntergang mit Blick aufs Wasser.
Am nächsten Tag steht Kultur auf dem Plan. Wir wollen uns den berühmtesten Tempel der Region, Wat Phra That Lampang Luang, ansehen. Der vermutlich bereits aus dem 13.Jahrhundert stammende Tempel, liegt ca. 20 km außerhalb der Stadt auf einem Hügel, und ist ein besonders beeindruckendes Beispiel der regionalen Lanna Architektur. Ursprünglich ganz aus gigantischen, gold bemalten, Teakstämmen gebaut, und mit offenen Seitenwänden, trägt er ein tief heruntergezogenes, dreistufiges Dach. Aus dem Schatten leuchten unzählige, in orange Tücher gehüllte, Buddhafiguren. Neben dem Hauptgebäude führt uns ein schmaler Weg in einen geheimnisvollen Garten, der komplett von einem haushohen, heiligen Bhodibaum beherrscht wird. Kleine bemalte Figuren sind rund um den Baum verteilt, der im Inneren von schläfrigen Hunden bewohnt wird, die nur dann knurrend wach werden, wenn jemand ihrem Haus zu nahe kommt.
- Etappe: Lampang - Phrae
Der dritte Tag steht, unter anderem, im Zeichen der Körperpflege. Der Reisegefährte beschließt, dass er ganz dringend einen Haarschnitt braucht, und unglaublich, aber wahr, auf unserer Erkundungstour, vorbei an großzügigen Landhäusern und unzähligen Tempelanlagen, die wir fast alle besichtigen, finden wir tatsächlich einen Frisör. Der gute Mann ist offensichtlich ein Western Fan, wie seine Ladendekoration unschwer erkennen lässt, und nach einigen lustigen Missverständnissen, darf der Reisegefährte auf dem Stuhl zum Haare schneiden Platz nehmen. Vermutlich ist er mit dieser Aktion Stadtgespräch. Der bereits wartende thailändische Kunde traut seinen Augen kaum, und muss gleich seine Freunde anrufen, aufgeregt spricht er gleich mehrfach laut in sein Mobiltelefon. An unser Ohr dringt der Name David Beckham... Zu guter Letzt wird der pseudoprominente, deutsche Gast dann auch noch fürs Album des Geschäfts von allen Seiten fotografiert, und alle sind glücklich.
- Etappe: Phrae - Nan
Wir verlassen Phrae in Richtung Nan am frühen Nachmittag, Die Reiseführer schwärmen von Nan als einem verschlafenen Ort, der bisher vom Tourismus nahezu unberührt ist, ich bin gespannt.
Von Unberührtheit kann nicht wirklich die Rede sein. Aber das ist ja auch kein Wunder, handelt es sich doch bei der beliebtesten Sehenswürdigkeit, der vorwiegend einheimischen Gäste in Nan, um eine, im ganzen Land verehrte Berühmtheit. Die Wandmalereien des Wat Phumin kennt in Thailand jedes Kind, zieren sie doch T-Shirts, Kaffeetassen und Kühlschrankmagneten und sind sicher bereits millionenfach auf Poster gedruckt worden. Mir war gar nicht klar, dass diese farbenfrohen, eleganten Figuren eine reale Existenz in Form wunderschöner buddhistischer Fresken haben.
- Etappe: Doi Phukha Nationalpark
Bei einem sensationellen Massaman Curry, über eine Karte gebeugt, beschließen der Reisegefährte und ich am kommenden Tag einen Tagestrip durch den Doi Phukha Nationalpark einzulegen. Ausgeschlafen verlassen wir am nächsten Morgen, nach einem extrem leckeren Frühstück, mit frischem Obst und vorzüglichem Pancakes, ganz entspannt, die Stadt in Richtung einsame Natur.
Die Strecke erfreut uns mit fantastischen Ausblicken, und außer ein paar an uns vorbeirasenden Motorradfahrern, die mehr oder weniger seitlich liegend durch die Kurven schießen, begegnen wir keinem Menschen. Wir schrauben uns Kilometer um Kilometer die, ehemals bewaldeten Höhenzüge hinauf. Mittlerweile bedecken Maisfelder, so weit das Auge reicht, die Gegend, bis wir schließlich unterhalb des Gipfels, 1939 Meter hoch, den höchsten Punkt passieren. Auf dem kurvigen Weg wieder hinunter, in die leuchtend grünen Niederungen der Ebene, finden wir wundersamerweise, mitten in der Einsamkeit, ein winziges Café, welches unter leuchtend rosa blühenden Bäumen, einen erstaunlich guten Milchkaffee serviert.
- Etappe: Nan - Phayao
Einen Tag später ist die kleine Provinzstadt Phayao unser nächstes Etappenziel. Wir rollen über menschenleere, frisch asphaltierte Straßen, mit hunderten sanften Kurven. Über liebliche Hügel, vorbei an, nur aus wenigen Häusern bestehenden Ortschaften, und erreichen am späten Nachmittag, das Ufer des halbmondförmigen Phayao Sees, der dem Ort seinen Namen gibt.
Die Bewohner Phayaos läuten gerade das Wochenende ein, Großfamilien im Sonntagsstaat flanieren entlang der Promenade. Alle paar Meter leuchtet am Ufer, in der untergehenden Sonne, ein anderes, circa ein Meter hohes, aus farbigem Stoff bestehendes Tier, eine Mickey Mouse, ein Drache, ein Elefant, ein Tiger. Diese Mischung aus knalliger Unterhaltung und gleichzeitiger Schönheit und Eleganz, ist für mich so typisch für Thailand, und ich kann mich, auch nach Jahren immer noch nicht daran sattsehen. Der ganze Ort strahlt eine ungeheuer entspannte Freundlichkeit aus, ein wenig erinnert mich die Atmosphäre an einen Kurort in der Schweiz, wofür auch die, am Horizont im Sonnenuntergang leuchtenden, Bergwipfel sorgen.
- Etappe: Phayao - Chiang Mai
Unsere Reise nähert sich langsam dem Ende, 150 km bis Chiang Mai liegen noch vor uns. Ich könnte schon wieder etwas essen, was allerdings gar nicht so einfach ist, fahren wir doch durch, weitestgehend menschenleere Natur. Orte sind selten auf dieser Strecke. Doch die Zivilisation kommt näher, und mit ihr ein sehr einfach aussehender Imbiss, bestehend lediglich aus ein paar bunten Werbeplanen über einem Holzgerüst am Straßenrand. Die unglaublich freundlichen Besitzer des Minirestaurants, strahlen uns staunend an, Farangs essen hier wohl eher selten. Natürlich spricht niemand englisch, eine Speisekarte würde auch nichts nützen, also zeigen wir einfach auf die Töpfe. Es ist unglaublich günstig, und es ist unfassbar lecker. Was ist das bloß für ein Geschmack? Es dauert ein wenig, dann hab ich es raus, das vegetarische Curry mit Reisnudeln schmeckt recht scharf nach Krachai, chinesischem Ingwer, köstlich!
Gestärkt für das definitiv letzte Stück unseres Roadtrips geht es weiter Richtung Chiang Mai. Kurz vor der Stadt legen wir bei den Maekachan Hot Springs eine allerletzte Pause ein. Ein riesiger Geysir sprudelt, inmitten von Reisebußen, quasi aus einem Parkplatz heraus. Man kann im 90 Grad heißen Wasser rohe Eier garen, oder in dem abgekühlten Thermalwasser, in kleinen Pools, seine Füße baden. Das Angebot wird von den Gästen begeistert angenommen.
Unser Fazit: Die thailändische Provinz hat uns auch diesmal wieder nicht enttäuscht. Sehr gastfreundliche Menschen, eine grandiose, dünn besiedelte Natur, reichlich Kulturschätze und nicht zuletzt das wunderbare, vom westlichen Touristengeschmack unverdorbene Essen, machen diesen Landstrich im Nordosten zu einem lohnenswerten Ziel für Reisende, die Freude an der besonderen Atmosphäre des ruhigen, entspannten Reisens haben.