Loei: zwischen Traum und Wirklichkeit

Loei: zwischen Traum und Wirklichkeit

Ich träume von Loei, der zauberhaften Provinz im Nordosten Thailands. Ich habe ein klares Bild vor Augen: ursprüngliche Naturlandschaften, in denen dicht bewaldete Tafelberge empor ragen. An den Hängen tummeln sich wilde Tiere – Elefanten, Rehe und Affen – wie einst zu Buddhas Zeiten.

Tatsächlich bin ich hier ganz allein und höre nichts als die zirpenden Grillen und das Herabtropfen des Nebels an den Bäumen. Plötzlich ertönt eine laute Hupe und ich wache auf. Ich träume nicht und bin doch da: Dan Sai Town, mein erster Stopp in Loei.

Es ist ein Freitag im Juni und ich bin hierher gekommen, um ein alljährliches Spektakel zu erleben: „Phi Ta Khon“ – das Fest der Geister. Als ich aus dem Bus aussteige, bin ich schon mitten im Geschehen. Das dreitägige Fest scheint in vollem Gang zu sein. Überall starren mich lang gezogene, bunte Gesichter mit gefletschten Zähnen und riesigen Nasen an. Es sind traditionelle Geistermasken, aus Holz oder Bananenstauden geschnitzt, die das Haupt von Männern, Frauen und Kindern zieren. Dazu tragen die Menschen bunte Overalls aus alten Lumpen. Die geisterhaften Gestalten springen und tanzen durch die Straßen, in Gruppen mit gleichen oder ähnlichen Kostümen. Es ist laut, es ist ausgelassen und es ist lustig. So habe ich Thailand noch nie erlebt.

Die Menschen hier feiern Phi Ta Khon seit Generationen. Immer an einem Wochenende im Juni. Die genauen Tage ändern sich jedoch von Jahr zu Jahr und werden immer erst, relativ kurzfristig, von einem Ältestenrat bekannt gegeben. Als ich in Bangkok die Reiseempfehlung für diesen Teil des Landes bekam, erzählte man mir auch die Entstehungsgeschichte des Festes: Vor langer Zeit, so heißt es, machte Prinz Vessandorn eine Reise. Er brach auf dem Rücken eines weißen Elefanten auf und war nicht mehr gesehen. Es verging so viel Zeit, dass seine Untertanen ihn bald für tot hielten. Der Prinz genoss bei seinem Volk immer eine große Beliebtheit, denn er galt als Inkarnation des Buddha selbst. Als er eines Tages lebendig und gesund zurückkehrte, waren die Feierlichkeiten so gewaltig, dass selbst die Geister der Toten erwachten, um den Prinzen willkommen zu heißen. „Phi Ta Khon“ – das Fest der Geister – war geboren.

Das bunte Gewirr und die Heiterkeit in den Straßen Dan Sais ziehen mich komplett in ihren Bann. Ich fühle mich in die Vergangenheit zurück transportiert. Vielleicht war mein Traum gar nicht so abwegig und ich befinde mich tatsächlich ganz nah an den Ursprüngen dieses sagenhaften Landes. Ich bewundere die Feierlichkeiten noch bis spät in die Nacht und bleibe auch bis zum Höhepunkt am Sonntag, als die Menschen wie jedes Jahr selbstgebaute Raketen zünden. Danach reise ich weiter, zur Erholung, ins nördlich gelegene Chiang Khan.

Erfrischende Abkühlung

Das touristisch noch weitgehend unbekannte Juwel liegt im kühlsten Teil des thailändischen Königreichs - im Winter können die Temperaturen hier bis auf minus sechs Grad fallen. Das spüre ich gleich bei der Ankunft. Die übliche Hitze ist einer angenehm erfrischenden Wärme gewichen. Ich muss wieder an meinen Traum denken, tatsächlich liegt dieser Distrikt inmitten der nördlichen Hochländer. Auch der menschliche Trubel ist in einen langsamen Trott übergegangen. Bisher wird Chiang Khan noch überwiegend nur von Einheimischen aus den umliegenden Städten besucht. Die scheinen heute alle noch in Dan Sai zu sein.

Mein Hotel liegt sehr zentral und auf dem Weg dorthin bewundere ich die historische Architektur der Straßenzüge. Fast jedes Gebäude ist komplett aus Holz, egal ob Wohnhaus, Café, Geschäft oder Hotel. Bis auf zwei Gästehäuser sind alle Gebäude der Stadt höchstens zwei Stockwerke hoch. Mehrstöckige Luxushotels oder Einkaufszentren suche ich hier vergeblich. Die Einkaufsstraße am Mekong ähnelt einem Filmset aus lauter kleinen Holzhäusern. Diese Beobachtung inspiriert mich am nächsten Tag zu einer Flussfahrt. Chiang Khan liegt direkt am großen Fluss, der hier die Grenze nach Laos bildet. Eine Bootstour entlang des Flusses gehört also zu den beliebtesten Aktivitäten. Als ich nach einem kurzen Spaziergang am Ufer ankomme, steigen mir die betörenden Düfte von unzähligen Streetfood-Verkäufern in die Nase. Die verschiedensten Gerichte und Snacks sind typisch für diesen Teil des Landes und unterscheiden sich etwas von den Speisen anderer thailändischer Regionen. Nach einer entspannten Flussfahrt lasse ich den Tag auf dem sehenswerten Nachtmarkt von Chiang Khan ausklingen. Er ist mit den viel besuchten Märkten in Bangkok oder Phuket zu vergleichen und in den Hippie- und Vintage-Läden finden sich allerlei Souvenirs, Kleidungsstücke und vieles mehr.

Die verlorene Welt

Am nächsten Morgen stehe ich früh auf. Es geht wieder Richtung Süden auf der Highway 201. Nachdem wir Chiang Khan verlassen, durchfahren wir zunächst eine flache Ebene. Reisfelder säumen die Straße soweit das Auge reicht. Dann überqueren wir den Loei-Fluss, und immer wieder ragen grün leuchtende Gipfel in die Höhe, bis ich ihn am Horizont erblicke: den Phu Kradueng. Der 1316 Meter hohe „Glockenberg“ ist das letzte Ziel auf meiner Reise durch diese Provinz. Der sandsteinerne Dom ist ein Relikt aus prähistorischer Zeit und thront wie ein Herrscher über das Umland und seinen eigenen Nationalpark.

Ich steige am Eingang des Parks aus und folge dem Wanderweg hinauf zum Gipfel. Es geht durch dichte, duftende Pinienwälder. Hier und dort raschelt es im Dickicht und ich bilde mir ein in den Baumwipfeln Affen zu sehen. Als ein leichter Nebel aufzieht bin ich endlich angekommen: genauso hatte ich es mir vorgestellt als ich die Reise plante. Und genauso hatte ich es vor einigen Tagen geträumt. Wenige Zeit später erreiche ich den Gipfel. Dort belohnt mich der weite Blick über das nun komplett vernebelte Tiefland. Die tiefhängenden Wolkenschleier färben sich im Schein der untergehenden Sonne rot. Wieder fühle ich mich zurücktransportiert in ein Land vor unserer Zeit. Irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit. Ich erinnere mich an die Geschichte von Phi Ta Khon und stelle mir vor, dass der verloren geglaubte Prinz dieses zauberhafte Land einst genauso erblickt haben mag, wie ich heute.

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