Ich lasse mein Schiffchen langsam ins Wasser gleiten, während ich in Gedanken meinen Wunsch wiederhole. Ich blicke ihm nach, konzentriere mich auf die flackernde Kerze, und frage mich, ob und wann mein Wunsch wohl Wirklichkeit werden wird. Heute Abend ist jedes Gewässer der Stadt voll mit den sogenannten Krathongs, den kleinen Schiffchen oder Flößen aus Bananenblättern, die die Wasseroberfläche in ein einziges Lichtermeer verwandeln. Egal ob auf dem mächtigen Chao Phraya-Fluss, einem der zahlreichen Kanäle der Stadt oder einem See. Loy Krathong ist eines der malerischsten Feste in Bangkok und ganz Thailand.
Ein Fest für die Göttin des Wassers
Loy Krathong ist der Name des Festes, das jedes Jahr in der Nacht des 12. Vollmondes stattfindet. Der genaue Tag wird nach dem chinesischen Mondkalender bestimmt und fällt normalerweise zwischen Ende Oktober und Ende November. Er markiert auch das Ende der Regenzeit. Die beiden thailändischen Worte bedeuten so viel wie schwimmendes Schiffchen. Der Anblick der zahllosen Krathongs, deren Kerzen tausende Lichtpunkte gen Horizont schicken, ist wahrhaft magisch, und es gibt in Bangkok viele Orte, an denen man sich auf die Feierlichkeiten einlassen kann.
Denn an diesem Abend versammeln sich die Menschen rund um die verschiedenen Gewässer – Thais gleichermaßen wie Touristen, die von überall angereist kommen, um das Spektakel zu erleben. Sie wollen der Göttin des Wassers Mae Khongka Respekt zollen und Dankbarkeit zeigen, indem sie bunte, lotusförmige Krathongs, die mit Blumen, Räucherstäbchen und Kerzen geschmückt sind, zu Wasser lassen.
Eine königliche Tradition
Während ich meinem Schiffchen hinterherblicke, kann ich mir gut vorstellen, wie sich König Ramkhamhaeng gefühlt haben muss. Er war der Herrscher des alten Königreiches Sukhothai und soll einen Krathong auf dem Wasser treiben gesehen haben. Eine Hofdame hatte ihn gebastelt. Er war so begeistert von der Schönheit des kleinen Schiffchens, dass er die Frau heiratete und die Tradition begann, die noch heute alle in ihren Bann zieht. Denn von da an erstrahlten die Flüsse Sukhothais jedes Jahr in der Nacht des Vollmondes eines jeden 12. Monats.
Ursprünglich soll die Tradition aus dem Hinduismus stammen. Auch dort begeht man das Ende der Regenzeit mit schwimmenden Laternen, die mit Danksagungen an die Gottheit des Ganges flussabwärts geschickt werden.
Der Mittelpunkt des Lichterfests
Das wichtigste an der Tradition ist der Krathong. Das sehe ich den Thais an, während sie stolz ihre Kunstwerke zum Kauf anbieten oder sie andächtig und in Gedanken versunken zu Wasser lassen.
Ich habe einigen Frauen über die Schulter gesehen, wie sie liebevoll, aber geschwind mehrere Schichten Bananenblätter um den Bananenstamm anbringen, der als Boden des Schiffchens verwendet wird. Innerhalb der Blätter können sie sich kreativ mit Blumen und Blüten ausleben. Am Ende wird der Krathong noch mit Kerzen und Räucherstäbchen dekoriert. Die Bestandteile – Blumen, Räucherstäbchen und Kerzen – stehen im Buddhismus für Weisheit, Reinheit und die Verehrung der Mönche.
In den letzten Jahrzehnten wurde zunehmend Plastik und Styropor zur Erstellung von Krathongs verwendet. Auch solche Krathongs sehe ich an den Ständen. Vor allem Kinder lieben sie, da sie unter anderem mit Puppen geschmückt sind, die Barbie ähneln. Eine Liebe, die den Flüssen und Seen jedoch schweren Schaden zugefügt hat. Nun fordert die Regierung, dass umweltfreundliche Materialen verwendet werden und die Gewässer des Landes nicht weiter verschmutzt werden sollen. Heute ist es daher verboten Plastik-Krathongs zu nutzen.
Der Gedanke hinter Loy Krathong
Da Loy Krathong das Ende der Regenzeit und damit auch das der Reisernte bedeutet, danken die Menschen der Gottheit für den Regen und die gute Ernte. Gleichzeit laden sie all ihre Sorgen und Ängste auf den Krathong. Dafür legen sie ihm häufig ein Stück Fingernagel, eine abgeschnittene Haarsträhne oder ein altes Kleidungsstück bei. Mit dem Krathong lassen sie von allem los, das sie belastet. Manche legen eine Münze bei, wodurch sie der Göttin zeigen, dass sie sich eine bessere finanzielle Situation wünschen. Auf diese Weise befreien sich die Thais von emotionalem Laster und schicken ihre Wünsche für eine positive Zukunft an Mae Kongkha.
So entsteht ein Lichtermeer, das seinesgleichen sucht. Ich kann kaum meine Augen abwenden, wie es die Nacht erleuchtet.
Paare sollten übrigens gleichzeitig die Krathongs zu Wasser lassen. Wenn beide Kerzen noch brennen, wenn sich die Flammen nicht mehr von dem Lichtermeer unterscheiden lassen, ist ihnen eine glückliche Beziehung vergönnt.
Mitreißende Stimmung in Bangkok
Auch sonst ist die Stimmung ausgelassen. Die Thais blicken nun nach vorn. Das merke ich ihnen an, wie sie feiern und dem Beinamen des Landes – Land des Lächelns – alle Ehre machen. Ich genieße die Atmosphäre am Ufer des Chao Phraya und kann mich gar nicht satt essen an den vielen Köstlichkeiten. Wie üblich bei thailändischen Festivals sind die Straßen voll mit Buden und Ständen, an denen man es sich gut gehen lassen kann.
Das Lichterfest wird übrigens nicht nur in Bangkok gefeiert, sondern in ganz Thailand. An manchen Orten, die für ihre ausgelassenen Feiern zu Loy Krathong bekannt sind, haben die Feierlichkeiten einen ganz besonderen Charakter:
- In Sukhothai, der alten Hauptstadt, in der die Tradition angeblich ihren Lauf nahm, sind vor allem Teiche und Wassergräben von den Schiffchen mit flackernden Kerzen erleuchtet. Hier, zwischen den beeindruckenden Ruinen der Tempel und den Buddha-Statuen, feiert meistens auch die Königsfamilie das Lichterfest.
- In der zweiten Hauptstadt Siams, in Ayutthaya, werden die Krathongs ebenfalls in den Chao Phraya-Fluss entlassen. Hier gibt es zudem schwimmende Märkte und eine Parade der Schönheitsköniginnen Thailands.
- In Chiang Mai wird zeitgleich mit Loy Krathong die lokale Feierlichkeit Yi Peng begangen. Hier wird nicht nur in der Vollmondnacht gefeiert, sondern gleich drei Tage lang der Wassergöttin gehuldigt.
- Auch Phuket ist bekannt für sein Loy Krathong-Festival. Hier geht es zwar etwas ruhiger zu, aber vor allem Paare begehen das Fest gerne am Meer.
So kannst du die Nacht von Loy Krathong über mehrere Jahre an unterschiedlichen Orten Thailands miterleben und wirst immer etwas Einzigartiges geboten bekommen.
Fazit
Es ist schon eindrucksvoll, wie zahllose Menschen in der Hocke am Ufer sitzen und ihren Krathongs hinterherblicken. Sie hoffen auf ein gutes Jahr. Sie wünschen sich, glücklich zu sein. Und sie lassen die Vergangenheit hinter sich. Das sieht man ihnen an und es spiegelt sich in jeder einzelnen Kerze wider, die elegant auf dem Wasser dahintreibt. Es ist zwar offiziell das Fest der Lichter, aber für mich ist es gleichzeitig auch das Fest der Hoffnung.
